Geschichte

von Dietrich Tissen

Die Neu Samara Siedlung befindet sich in einer Steppenlandschaft, die ursprünglich nur von Nomadenstämmen besiedelt worden war. Dabei bildeten die Flüsse Ural und Samara in etwa die Grenze zwischen dem baschkirischem und kasachischem Siedlungsgebiet. Bis Ende des 18 Jahrhunderts war Ural auch die Grenze des Russischen Reiches. Diese wurde von den Nomaden ständig gefährdet, so dass sich nur Kosaken (Abkömmlinge geflohener russischer Bauern) am Fluß Ural niederliessen. Dann kam ein grosser Teil des kasachischen Gebiets unter die russische Herschaft.

Ausgehend vom Fluß Samara wurde das Land nördlich des Flusses von den russischen Siedlern besiedelt. Die Baschkiren haben es vorher nur als Weide für ihre Herden benutzt. Es wurde ihnen von den russischen Kaufleuten und Großgrundbesitzern billig abgekauft. Die Baschkiren wurden so in Richtung Nordosten in die heutige Baschkirische Autonome Republik abgedrängt. Das Territorium, wo sich die Neu-Samarasiedlung befindet, wurde wahrscheinlich erst spät den Baschkiren abgekauft, da es so weit nördlich liegt. Einzelne Siedlungen am nördlichen Ufer des Tocks sind geblieben. Jedenfalls gehörte das Land, als die deutschen Siedler hierhin kamen, den Russen.

Die mennonitische Bevölkerung in Rußland hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts stark vermehrt. Bei den Mennoniten gab es den Brauch, dass der Grundbesitz ungeteilt einem Sohn vererbt wurde. So gab es schon nach wenigen Generationen viele landlose Familien; diese mussten auswandern und neue Siedlungen gründen. Als die Altkolonie Molotschna gegründet wurde, wurde ein Teil des Boden nicht an die Kolonisten verteilt. Es wurde dann verpachtet und das Geld wurde vornehmlich für den Kauf von neuem Land benutzt.

Eine von diesen neuen Siedlungen ist die Neu-Samara Kolonie. 1890 haben die Gnadenfelder und Halbstädter Gemeinden in Molotschna von den Kaufleuten Iwan Pleschanow aus Samara und Fedor Krassikow aus Busuluk 20388 Desjatinen für ca. 34 Rubel pro Desj. gekauft (Einzelheiten kann man in diesem Dokument nachlesen). Kurz vor der Übersiedlung der Mennoniten hierher, wurde am Tock, in der Nähe der späteren Mühle, eine Wassermühle gebaut. Sie gehörte Pleschanow, der Verwalter war ein Mennonit Johann Wall. Es ist zu vermuten, dass durch seine Vermittlung der Kontakt zwischen Pleschanow und den Gemeinden zu Stande kam. Die Verhandlungen wurden von Abraham Löwen, Wilhelm Derksen und Nachtigall geführt. Das Land war vorher nie bearbeitet worden, es wurde also ziemlich wahrsheinlich als reines Spekulationsobjekt gekauft, um es später zu verkaufen.

Ein Teil der Kaufsumme wurde von der Donschen Agrarbank ausgeliehen, und sollte bis 1933 zurückgezahlt werden. Da auch nach der Aufnahme des Kredits nicht genügend Geld vorhanden war, wurden auch sogenannte Freikäufer angesiedelt. Diese mussten einen Teil des Kaufpreises, 1120 Rubel, sofort bezahlen. Die anderen Ansiedler sollten aus landlosen Familien stammen. Sie brauchten 560 Rubel  von dem Kaufpreis nicht zu bezahlen. Beide Gruppen mussten den restlichen Betrag in Raten an die Gnadenfelder und Halbstädter Gemeinden entrichten, zu denselben Bedingungen wie diese bei der Bank: Freikäufer 120 Rubel pro Jahr ab dem 1. Januar 1891, die Landlosen 78 Rubel und 38 Kopejken aber erst nach 10 Freijahren. Der Zinssatz betrug also 7,5 %. Es gab 60 Freikäufer und etwa 350 landlose Familien. Freikäufer bekamen 80 Desjatinen, die Landlosen 40 Desjatinen. 1400 Desjatinen sollten nicht verteilt werden - sie sollten verpachtet werden und zum Bau einer Mühle in Pleschanowo benutzt. Da sich in erster Zeit keine Pächter gefunden haben, wurde dieses Land 1892 zur Gründung des Dorfes Kuterlja benutzt.

Als erste sollten die Freikäufer angesiedelt werden, vermutlich damit  sie den anderen ärmeren Kolonisten die Ansiedlung erleichtern konnten: 18 Familien in Kamenez, 22 in Pleschanowo und 20 in Krassikowo. In den Jahren 1891-1892 wurden die übrigen Dörfer gegründet: Kaltan, Lugowsk, Podolsk, Donskoj, Dolinsk, Jugowka, Klinok, Kuterlja. Auf dem, von dem Kaufmann Bogomasow gekauftem Land wurde Bogomasowo errichtet. Außerdem wurde von dem russischen Dorf Nowo-Nickoljsk Land erworben und auf diesem Ischalka errichtet.

Außer den Ansiedlern kamen noch reiche Großgrundbesitzer nach Neu-Samara: Klassen und Reimer. Heinrich Reimer besaß z.B. 5931 Desjatinen, das von ihm verwaltete Gut seiner Schwester Anna hatte eine Grösse von 724 Desjatinen. Da er nicht alles selbst bearbeiten konnte, hat er 1908 das Gut von Anna an die Siedler in Annenskoje verpachtet. Die Gutsbesitzer haben ihr Land hauptsächlich von Slobotschikow gekauft.

Die neue Siedlung gehörte damals zum Samara Gouverment, Buzuluker Ujesd. Deshalb wird sie auch Neu-Samara genannt, im Gegensatz zur Alt-Samara Kolonie, die schon 1859 entstanden war. 1934 kam Buzuluker Ujesd in das damals errichtete Orenburger Gebiet.

1877 war zwischen Samara und Orenburg eine Eisenbahn gebaut worden. Die Siedler reisten mit der Eisenbahn in kleinen Gruppen bis Sorotschinsk, von dort fuhren sie auf den mitgebrachten Pferdewagen zum neuen Wohnort. Es wurden auch landwirtschaftliche Geräte, Vieh und Lebensmittel mitgebracht. Wer in welches Dorf kam, wurde schon in Molotschna per Los entschieden. Nahe Verwandte sind dadurch auf verschiedene Dörfer verteilt worden.

Viele der Ansiedler waren arm und hatten wenig Kapital mitgebracht. Die ersten Jahre waren hart, da die Kolonisten sich die für die Wirtschaft notwendigen Geräte und Vieh erst nach und nach erwerben mussten. Deshalb wurden viele landwirtschaftliche Produkte, die man auch selbst verzehren konnte, wie z.B. Butter, auf dem Markt verkauft. Die Ansiedler lebten zuerst in schnell errichteten Erdhütten. Später wurden stabilere Häuser gebaut. Der Aufbau wurde auch durch periodische Dürrezeiten behindert: wie z.B. 1906 als weniger geerntet wurde als man gesät hatte. Man bekam aber auch Hilfe von der Mutterkolonie, z.B. nach der erwähnten Mißernte. Viele bekamen auch Geld von ihren Verwandten in Molotschna. Man half sich aber auch gegenseitig indem man landwirtschaftliche Geräte und Zugpferde gemeinsam nutzte. Die Freikäufer hatten mehr Geld und konnten deshalb ihre Wirtschaften schneller aufbauen. Die anderen mussten sich Saatgut und auch Mehl borgen.

Nach und nach kamen aber die Kolonisten bis 1914 zu Wohlstand: die Erdhütten wurden von richtigen Häusern  abgelöst, es wurden Mühlen gebaut, in jedem Dorf gab es eine Schule und 1911 wurde in Pleschanowo ein Krankenhaus gebaut. 1917 lebten in Neu-Samara 3670 Einwohner auf 35695 Desjatinen und es gab 9 Großwirtschaften.

Als es 1914 zum ersten Weltkrieg kam mußten viele junge Neu-Samarer in der russischen Armee als Sanitäter dienen. Während des Krieges wurden in Neu-Samara österreichische Kriegsgefangene untergebracht. Einige von diesen sind auf dann auf den Friedhöfen der Dörfer beerdigt worden. Nach der Revolution 1917 meuterten die Truppen und flohen in das Landesinnere, so konnten auch die eingezogenen Mennoniten nach Hause kommen. Nach der Oktoberrevolution kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen den Bolschewiken den "Roten" und ihren Gegnern den "Weißen". Die Mennoniten in Neu-Samara sind dann zwischen die Fronten geraten. Beide Parteien tauschten ihre schlechten Pferde gegen die guten Pferde der Ansiedler. Viele wurden von einer der Parteien eingezogen und zum Dienst an der Waffe gezwungen, was jedoch dem mennonitischen Glauben widerspricht. Im Herbst 1919 konnten die Sowjets ihre Machtstellung im Bereich Neu-Samara festigen und die Weißen vertreiben. Die Siedler in Neu Samara mussten sich wohl oder übel auf die sowjetische Herrschaft einrichten. Da es Befürchtungen gab, dass die traditionelle Lebensweise der Mennoniten unterdrückt würde, hat man auf Vorschlag von Cornelius F. Klassen beschlossen sich der damals entstandenen Baschkirischen Republik anzuschließen. Dabei hatte man wohl an die am nördlichen Ufer des Tocks lebende Baschkiren gedacht, die damals streng gläubige Moslems und korservativ eingestellt waren. Aus Rücksicht auf den noch stattfindenden Krieg hat die Sowietregierung den Baschkiren außerdem etwas mehr Freiheit gelassen.

Man hatte sich aber mit dem Anschluss an die Baschkiren verrechnet: die administrative Einheit zu der Neu-Samara nun gehörte, Tok-Suranskij Kanton, verlegte ihre ganze Verwaltung nach Pleschanowo und umliegende Dörfer. Die Neu-Samarer hatten darunter stark zu leiden: in ihren Häusern mussten Quartiere eingeräumt werden, sie mussten Fuhrdienste leisten usw. Nach der schweren Zeit im Winter 1919-20 hatte man nach Moskau Gesandte geschickt und die Verlegung der Verwaltung erreicht. Da 1920 im Rahmen des sogenannten Kriegskommunismus den Bauern Getreide weggenohmen wurde, so dass nicht mal Saat übrig gelassen wurde, gab es 1921 im ganzen Land grossen Hunger. Auch in Neu-Samara gab es großen Nahrungsmangel. Um Nahrung zu bekommen fuhren junge Männer nach Sibirien um Kleider gegen Brot zu tauschen, viele sind dann an Typhus erkrankt und nicht mehr zurückgekehrt. Durch Hunger geschwächt sind auch viele Dorfbewohner an Typhus und Malaria erkrankt. Erst nach langen Verhandlungen durften internationale Hilfsorganisationen ins Land. Die Mennoniten in Neu Samare haben dann Hilfe von der AMR-Agentur ( American Mennonite Relief) bekommen.

Da die Regierung merkte, dass es so nicht mehr weiter gehen konnte, wurde den Bauern im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik mehr Freiheit gelassen. 1922 haben die Bauern etwas Saatgetreide bekommen und die Lage normalisierte sich allmählich. Viele Mennoniten hatten kein Vertrauen in die Sowietregierung und haben diese Gelegenheit genutzt um auszuwandern. Zwischen 1923 und 1928 sind allein aus Neu-Samara etwa 700 Personen nach Kanada gegangen. 1926 lebten dann nur noch 3071 mennonitische Einwohner in Neu-Samara.

Von 1922 bis 1929 konnten die Bauern wieder so wirtschaften wie vor der Revolution. Die Guts-, Laden- und Mühlenbesitzer waren aber vielfach schon vorher enteignet worden und mussten fliehen. Es gab während dieser Zeit auch schon religiöse Verfolgungen seitens der atheistischen Regierung. So wurde der Religionsunterricht in den Schulen verboten und die Prediger wurden bedrängt.

1929-1930 wurde dann, wie überall in Russland, auch in Neu-Samara die Landwirtschaft kollektiviert. Alle mussten ihr Land, ihr Vieh und ihre Gerätschaften in die Kollektivwirtschaft einbringen. Die etwas reicheren Bauern wurden als Kulaken abgestempelt und zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Zuerst waren alle Dörfer von Neu-Samara in einer Kolchose (Abkürzung für  Kollektiwnoje Chosjaistwo - Kollektivwirtschaft), die ihren Zentrum in Donskoj hatte. Später bildeten 3 bis 4 Dörfer ein Kollektiv und 1934 wurde in jedem Dorf eine Kolchose errichtet. Am Anfang gab es seitens der Bauern passiven Widerstand gegen die Kollektivierung, so dass es z.B im nächsten Jahr nicht genug Futter gab um die Pferde durch den Winter zu bringen. 1931-1932 musste dann das Land mit Kühen bearbeitet werden. Positiv anzumerken ist aber, dass in dieser Zeit auch die ersten Traktoren nach Neu-Samara kamen. Dazu wurde dann die MTS ( Maschinen-Traktoren-Station ) auf dem ehemaligen Hof von Jakob Wittenberg in Donskoj errichtet. 1933/34 wurde die Strasse nach Sorotschinsk aufgeschüttet, geebnet und mit Kiessand vom Tock bedeckt.

1931 war eine Zäsur im religiösem Leben der Neu-Samarer: am 6 Januar 1931 wurden die Bethäuser in Donskoj und Pleschanow geschlossen. Ende 1932 wurde auch das Bethaus in Lugowsk geschlossen. Als es 1937-1938 im ganzen Land zu einer Terrorwelle kam, waren davon in Neu-Samara insbesondere Personen betroffen, die sich im religiösem Bereich  engagiert hatten.

Unter dem  am 22 Juni 1941 ausgebrochenem Krieg zwischen Deutschland und Sowjetunion haben die Russlanddeutschen besonders stark gelitten. Alle deutsche Siedlungen westlich und an der Wolga wurden, soweit es die Sowjets schaffen konnten, nach dem Kriegsausbruch aufgelöst und "evakuiert", d.h. die Einwohner wurden  nach Sibirien und Kasachstan verbracht. Auch die beiden mennonitischen Siedlungen an der Wolga Alexandertal ( Alt-Samara) und Am Trakt wurden aufgelöst. Die Neu-Samara Siedlung konnte aber weiter bestehen als, soweit ich es sehe, die westlichste mennonitische Siedlung überhaupt. 

Die Bewohner von Neu-Samara hatten es aber auch nicht leicht: nach und nach musste fast die gesamte erwachsene Bevölkerung Zwangsarbeit in der Trudarmee verrichten. Am 20. März 1942 wurden alle Männer im Alter von 17 bis 55 Jahren mobilisiert. Einige sind nach Molotow (heute Perm) Gebiet Nord-Ural gebracht worden um Wald zu fällen. Da sie kaum Nahrung bekamen sind die meisten von diesen Männern an Hunger und Erschöpfung gestorben. Am 6. November 1942 wurden dann alle Jungen ab 15 Jahren und die übriggebliebenen Männer einberufen, am 12 November 1942 die Frauen im Alter von 16 bis 50 Jahren. Die Männer sind grösstenteils nach Tscheljabinsk gekommen um in den Kohlegruben zu arbeiten. Die meisten Frauen kamen nach Orsk (etwa 500 km östlich aber immer noch im Orenburger Gebiet) und mussten in den nach dort verlegten Fabriken arbeiten. Einige Frauen sind auch nach Dombarowka geschickt worden. Es blieben also nur die Kinder, alte Leute und Leitungsangestellte, also Kolchosevorsitzende, Brigadiere, Mechaniker usw. Sie mussten nun alleine das Land bestellen, da mussten auch 13-14 Jährige schwerste Arbeit verrichten.

Auch nach dem Krieg durften die Leute nicht sofort nach Hause zurückkehren, da bis Mitte der 50-er alle Russlanddeutsche unter der Kommandatur waren und es somit Beschränkungen der Reisefreiheit bestanden. Aber auch danach sind viele nicht mehr zurückgekehrt, da viele junge Menschen dort geheiratet und neue Heimat gefunden haben. Somit fehlte diese Generation in den Dörfern nach dem Krieg, geblieben sind nur die, die damals noch zu jung für die Trudarmee waren.

Nach dem Krieg herrschte in den Dörfern immer noch Hunger, da viele Nahrungsmittel aus den Dörfern an die Stadtbewohner geschickt werden mussten. Außerdem mussten auch noch die Trudarmeer mitversorgt werden. Die Bauern mussten auch bestimmte Abgaben an landwirtschaftlichen Produkten wie Eiern abliefern, die sie auf ihren kleinen Privatwirtschaften erzeugt hatten, außerdem mussten Zwangsanleihen an den Staat gezahlt werden. 1950 gab es eine gute Ernte in Neu Samara, von dieser konnte ein Teil verkauft werden, so dass die Leute wieder etwas Geld bekamen und sich Kleidung leisten konnten. Im Laufe der 50-er Jahre wurde die materielle Situation immer weiter verbessert, bis keine Zwangsabgaben mehr geleistet werden mussten. In diesen Jahren gab es in der Landwirtschaft weitere Mechanisierung, viele junge Leute, auch Frauen, sind zu Traktoristen ausgebildet worden.

Aber die Menschen waren immer noch arm und lebten sehr einfach. Elektrizität gab es schon in den 50-er Jahren, aber sehr schwach. Man benutzte Traktorenmotore als Antrieb für Generatoren. Nachts wurde der Strom abgeschaltet, um Treibstoff zu sparen. Wenn in der Kolchose Strom gebraucht wurde, z.B. für Melkanlagen, hatten die Privathaushalte das Nachsehen. 1960 wurde am Tock bei Krassikowo ein Staudamm für ein Kraftwerk gebaut. Diese Station versorgte dann Krissikowo, Lugowsk und Podolsk mit Strom. Aber auch in anderen Dörfern wurden bessere Generatoren gebaut. Zum Schluss wurden dann alle Dörfer in Neu-Samara an das allgemeine Netz angeschlossen.

Da es am Anfang nur ganz schwachen Strom gab, hatten die Privathaushalte außer Glühlampen fast keine Elektrogeräte. Ende der 60er Anfang der 70er gab es dann erste Kühlschränke. Überhaupt ging es den Menschen in Neu-Samara in den 70-er und 80-er Jahren materiell wahrscheinlich am besten seit dem Beginn der Ansiedlung. Viele konnten sich Autos leisten und in jedem Haushalt gab es mehrere Fahrräder. Das hängt auch damit zusammen, dass die Deutschen sehr fleißig sind und auf den ihnen verbliebenen 0,25 Hektar Land Überschüse erwirtschaften konnten, die sie auf dem Markt verkauften. Geld wurde vor allem mit der Aufzucht von Ferkeln und Polarfüchsen und Imkerei verdient.

Am 1. Januar 1967 wurde der Krasnogwardejskij Rajon gebildet, zudem Neu-Samara seitdem gehört (vorher gehörte Neu-Samara eine Zeitlang zum Sorotschinsker Rajon). Rajonzentrum wurde Pleschanowo. Pleschanowo und das nahe gelegene Donskoj sind seitdem stark gewachsen, da auch viele Nichtdeutsche zugezogen sind. Aber auch andere Dörfer haben sich vergrössert, so sind z.B. Podolsk und Lugowsk fast zu einem Dorf zusammengewachsen. Die meisten Dörfer haben zusätzliche Straßen bekommen.

Wie in den anderen mennonitischen Siedlungen in Russland auch, wurde in Neu Samara als Umgangssprache Plautdietsch gesprochen, ein niederdeutsches Dialekt westpreussischen Ursprungs. Zwar wurde seit dem Ende der 1930-er der Schulunterricht komplett in Russisch geführt, in den meisten Familien wurde aber der Gebrauch von Plautdietsch bis zur Ausreise nach Deutschland weiterhin gepflegt (später auch in Deutschland). Viele Kinder konnten bis zu ihrer Einschulung kein Russisch. Auch sonst wurden noch viele alte Bräuche und Traditionen weitergeführt. Insbesondere nach der Verlegung des Rayonzentrums kam es zu einem starken Zuzug russischsprachiger Personen. Damit war dann eine gewisse Russifizierung von Pleschanowo und Donskoj verbunden.

Als es dann Ende der 80-er Jahre im Zuge der Perestrojka zu Lockerungen bei Ausreisegenehmigungen nach Deutschland kam, sind auch die Deutschen aus Neu-Samara ausgewandert. Die ersten sind schon 1988 nach Deutschland gekommen, 1989 gab es dann eine grössere Anzahl der Auswanderer. Obwohl sich am Anfang viele gegen die Ausreise gesträubt haben, sind doch bis heute etwa 95 Prozent der deutschen Einwohner von Neu-Samara nach Deutschland gezogen. An ihre Stelle und in ihre Häuser sind dann Tataren, Russen, Mordwinen und Baschkiren eingezogen. Neu-Samara hat somit als deutsche Siedlung, nach 100 Jahren Bestehen, aufgehört zu existieren.