Mennoniten in Westpreussen
Als Westpreussen bezeichnet man den Teil des Gebietes des
Deutschen
Ordens der 1466 unter die polnische Herrschaft kam. In dieser Zeit
nannte man es auch als königlich oder polnisch Preussen, im
Gegensatz zu herzoglich Preussen dem übrig gebliebenen Teil des
Ordensgebiets. Dem Verlust Westpreussens war der Abfall der Städte
wie
Danzig, Elbung und Thorn vom Deutschen Orden vorausgegangen, so dass
diese mit dem polnischen König einen hohen Grad an Autonomie
vereinbaren
konnten. Während der langen Kriege zwischen Polen und dem
Deutschem
Orden, zuletzt 1519-1521, wurde die Landschaft stark verwüstet.
Das war
insbesondere für die Niederungen in der Weichsel-Nogat-Delta von
Bedeutung, sie konnten nur dann landwirschaftlich genutzt werden wenn
Deiche gebaut wurden. In den Kriegen sind die vorher vorhandenen Deiche
zerstört oder nicht mehr genügend gepflegt worden. Hinzu
kamen mehrere
Pestepidemien, was sich wiederum auf den Deichbau auswirkte, da weniger
Menschen vorhanden waren um diese zu bauen. So versumpfte die
Landschaft. Da der polnische König in ständigen
Geldnöten war,
verpfändete oder verkaufte er große Gebiete in Westpreussen
an
verschiedene Personen. Die Städte Danzig und Elbing und die neuen
und
alten Grundbesitzer waren stark daran interessiert die Sumpfgebiete in
der Weichsel-Nogat-Delta wieder zu kultivieren, da kamen ihnen die
mennonischen Flüchtlinge aus Friesland gerade recht.
Marienburg
Die Friesen (aus dem gesamten friesischem Gebiet, Dreierfriesland
genannt, also aus Ostfriesland, Friesland und Groninger Land) und
Flamen hatten jahrhundertelange Erfahrungen im Deichbau und
Entwässerung. Diese Kenntnisse konnten sie nun in Westpreussen
anwenden. Als erster hat wohl der Bischof von Leskau die Mennoniten auf
seinen Ländereien angesiedelt. Dabei hat er wohl in erster Linie
aus
wirtschaftlichen Gründen gehandelt, da er später auch Juden
ansiedelte.
Obwohl die Mennoniten wegen ihres Glaubens überall verfolgt wurden
und
der polnische König streng katholisch war, hat man die Mennoniten
ins
Land geholt. Wie sich schnell zeigte, konnten die Grundbesitzer hohe
Profite erzielen, wenn sie ihr Land an die Mennoniten verpachteten. So
breiteten sich die Mennoniten sehr bald in dem Danziger Werder,
Niederung westlich der Weichsel, und dem Marienburger Werder, Gebiet
zwischen der Weichsel und der Nogat, aus. Die Erschließung des
sumpfigen Landes war sehr mühsam. Durch die schwere Erdarbeit und
Krankheiten sind von der ersten Generation 80 % gestorben. Die
Mennoniten sind nur deshalb nicht ausgestorben da immer neue
Flüchtlinge dazukamen. Aus dieser Zeit stammt das mennonitische
Sprichwort: "Die erste Generation hatte den Tod, die zweite die Not und
nur die dritte das Brot".
Wann die ersten Mennoniten genau nach Westpreussen gekommen sind ist
nicht genau
bekannt. 1549 gab es jedenfalls genügend viele um in mehreren
Gemeinden
organisiert zu sein. In diesem Jahr schrieb Menno Simons, der eine
Weile dort gewirkt hat, einen Brief addressiert an die dortigen
Kirchen.
Sein Nachfolger als Leiter der Gemeinden im Weichsel-Nogat-Delta war,
bis zu seiner Rückkehr nach Emden 1568, Dirk Philips, der engste
Mitarbeiter von Menno Simons.
Durch die spätere
Namensforschung unter den westpreussischen Mennoniten weiß man
dass die
Siedler vor allem aus dem Norddeutsch-Niederländischem Raum kamen.
Eine
starke Welle der Flüchtlinge kam in den
Jahren 1562-1573 aus den Niederlanden ins Land als es Verfolgungen
aller Nichtkatholiken durch die Spanier gab. Es muss aber
auch Flüchtlige aus der Schweiz und Oberdeutschland gegeben haben.
Insbesondere die Siedlungen weiter landwärts, in der Nähe von
Kulm,
müssen eine grossen Anteil oberdeutscher und morawischer
Flüchtlinge
aufgenommen haben.
Es kamen aber nicht nur Bauern nach Westpreussen - in den Städten
versuchten auch Kaufleute und Handwerker sich nieder zu lassen. Aus
Furcht vor der Konkurenz verbat die Stadtobrigkeit die Ansiedlung von
Mennoniten innerhalb der Stadtmauern. Einzelne Personen haben es
aber trotzdem geschaft, insbesondere wenn ihre Fähigkeiten, z.B.
bei
den Seidengeschäften, gebraucht wurden. Sonst blieb nur der Ausweg
sich
in
den
Vorstädten, wie z.B. Alt-Schottland, Schidlitz und Stolzenberg bei
Danzig, niederzulassen. Im Laufe der Zeit lebten in Danzig
genügend
Leute um dort Gemeinden zu organisieren: das erste mennonitische
Bethaus innerhalb der Stadtmauern wurde 1648 gebaut. Die
mennonitische Bevölkerung in Danzig und Umgebung erreichte auf
ihrem
Höhepunkt im 17. Jahrhundert über 1000 Personen.
Die
Kaufleute kamen vor allem aus den niederländischen
Großstädten wie
Amsterdam, viele sind später in die Niederlande
zurückgekehrt. Es
bestanden sowieso sehr enge Handelsbeziehungen zwischen Amsterdam und
Danzig. Danzig war im 16. und 17. Jahrhundert der Hauptausfuhrhafen
für
polnisches Getreide, die Hauptkäufer waren wiederum die
holländischen
Kaufleute aus Amsterdam. Interessant sind auch die engen Verbindungen
zwischen den mennonitischen Gemeinden in Westpreussen und in den
Niederlanden. Eine umfangreiche Korrespondenz ist in den
niederländischen Archiven erhalten geblieben. Man erfährt
immer wieder
von der Unterstützung der Niederländer für ihre
Glaubensgenossen in
Westpreussen.
Was den Mennoniten in Westpreussen vor allem zu Gute kame, war eine
gewisse Zersplitterung im religiösem und administrativen Bereich.
Es
gab zwei konkurierende Kirchen, die lutheranische und die katholische,
die Mennoniten konnten dann bei einer der Beiden Schutz aushandeln,
natürlich für Geld, sie mussten dann die Pfarreien bezahlen.
Zum
anderen war die Macht des polnischen Königs relativ schwach, die
Grundbesitzer und die Städte waren mehr oder weniger autonom.
Obwohl es
also schon von Anfang an Versuche gab, die Mennoniten wieder zu
vertreiben, gab es immer Leute die von den Mennoniten profitierten und
sie deshalb unterstützten.
Wie schon erwähnt muss der Hauptanteil der Siedler aus dem
friesischem
und flämischen Bereich stammen, diese hatten in ihrer Heimat ein
niederdeutsches
Dialekt gesprochen. Sie haben deshalb in Westpreussen, insbesondere auf
dem Land, ziemlich schnell den dortigen, sehr ähnlichen, Dialekt
als
Umgangsprache übernommen. Im Gottesdienst und auf dem
schriftlichem
Gebiet
haben die
westpreussischen Mennoniten aber sehr lange am Holländischem
festgehalten.
Schon aus ihrer vorherigen Heimat haben die Mennoniten die Aufteilung
in friesische und flämische Kirchengemeinden mitgebracht. Die
Namen
deuten wohl auf die urprünglichen Mitglieder - die Friesen und die
Flamen - es sind aber in jeder Gruppe Vertretter beider Stämme.
Beide
Gruppen haben sich streng voneinander geschieden, so war z.B. die
Heirat zwischen den Angehörigen der beiden Gemeinschaften
untersagt. Die Unterschiede haben erst Ende des18. Jahrhunderts
angefangen sich zu verwischen.
In religiöser Hinsicht wurden die Mennoniten nur geduldet,
insbesondere
durften sie keine Mission unter der benachbarter Bevölkerung
betreiben.
Auch durften sie in ersten Zeit keine Kirchen bauen, sie mussten
sich dann zu Gottesdiensten in Privathäusern versammeln. Die
Gottesdienste mussten so abgehalten werden, dass sie bei
Aussenstehenden
kein Aufsehen erregten. Bezüglich
Wehrdienstbefreiung gab es bis Mitte des 18. Jahrhunderts keine
Probleme:
Befreiungen vom Militärdienst für Ansiedler in
dünnbesiedelten Gegenden
waren damals in Europa üblich. In Notzeiten, wie z.B. bei der
Belagerung von Danzig durch Schweden 1734, mussten auch Mennoniten
ihren Beitrag leisten: entweder durch Geldspenden oder durch
Nichtkämpfenderdienste. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts mussten
dann
alle Mennoniten für die Privilegien, die sie geniessen durften,
eine
besondere Steuer bezahlen.
In Westpreussen haben sich auch die religiösen und sozialen
Strukturen
herausgebildet, die später nach Russland gebracht wurden. Die
Gemeinschaft der Mennoniten wird nicht zentral organisiert, sondern ist
in Kongregationen aufgeteilt, wobei es in Westpreussen flämische
und
friesische Kongregationen gab. Jede Kongregation ist selbstständig
und
wird von einem Ältesten geleitet. Diese sind etwa den
Bischöfen
vergleichbar, bei den amerikanischen Mennoniten werden diese auch so -
also bishop - genannt. Der Älteste konnte theoretisch jeder
werden, man
brauchte dazu keine besondere theologische Ausbildung. Da sie aber
nicht bezahlt wurden, konnten es sich nur Wohlhabende leisten
Ältester
zu werden. Dann gab es noch die Prediger und die Diakone. Genauso wie
Älteste wurden auch diese von der Gemeinde gewählt und
für ihre Dienste
nicht bezahlt, es galt als der "Ehrsame Dienst". Als gewählten
Posten
gab es noch den Vorsänger.
Die Ältesten wurden auf Lebenszeit gewählt (
sie konnten nur bei grossen Verfehlungen abgesetzt werden ) und
verfügten über grosse Macht über die von ihnen
beaufsichtigten
Gemeindemitglieder. Die Prediger achteten auf moralische
Lebensführung
der Gemeindemitglieder. So verhängten sie bei Übertritten von
religiösen Vorschriften, wie z.B bezüglich Glückspiel
und Tanzen,
Strafen. Auch wurde die körperliche Züchtigung der Diener
bestraft.
Alle sozialen Verpflichtungen wie z.B.Bezahlen von Steuern musste jeder
Mitglied erfüllen. Desweiteren gab es gewisse
Kleidungsvorschriften,
wobei es sich hierbei einfach um eine konservative Haltung
gegenüber
Kleidermoden handelt. Als Strafe konnten junge Leute nicht in die
Gemeinde aufgenommen werden, was bei den Mennoniten durch die Taufe
geschieht. Eine sehr harte Strafe war die "Meidung": den
Gemeindemitgliedern wurde jeglicher sozialer Umgang mit den davon
Betroffenen verboten. Die Mennoniten sorgten für ihre Armen und
Kranken
selbst. So gab es in jeder grösseren Gemeinde ein Waisenheim und
ein
Krankenhaus. Diese Institutionen wurden später nach Russland und
von
dort aus nach Amerika mitgenommen.
Die Situation hat sich dann stark verändert als Westpreussen im
Zuge
der polnischen Teilungen 1772 und 1792 unter die preussische Herrschaft
kam. 1776 wurde wahrscheinlich im Zusammenhang damit eine
Volkszählung
in Westpreussen durchgeführt (1776 Census of Mennonites in West
Prussia
auf der MMHS-Seite, sehr interessant
für Ahnenforscher). Danach lebten
in Westpreussen (ohne Danzig, Danziger Nehrung, Thorn und Neumark
Gebiete, diese gehörten damals noch nicht zu
Preussen) 12.182 Mennoniten. Von 1740 bis 1786 war Friedrich der Grosse
der preussische König.
Zwar konnte er den Mennoniten die komplette religiöse Freiheit
garantieren. Die Befreiung von Militärdienst war aber eine andere
Sache. Gerade in dieser Zeit versuchte Friedrich der Grosse Preussen zu
einer Grossmacht zu führen, dazu brauchte er eine starke Armee,
deshalb
konnte er nicht gleichgültig gegenüber der Einschränkung
des
Rekrutierungspotentials sein. Der Militärdienst war sehr
unpopulär, die
Leute mussten in die Armee "gepresst" werden. Deshalb war die Existenz
einer priviligierter, wohlhabender, vom Militärdienst
ausgenommener
Bevölkerung, problematisch. Aber der König entschied, dass
das Geld für
seine Vorhaben genauso wichtig war wie die Soldaten. 1780 garantierte
Friedrich den Mennoniten komplette religiöse Freiheit und
Befreiung von
Wehrdienst. Dafür mussten die
Mennoniten jährlich fünf Tausend Thaler für den
Unterhalt der
Militärakademie in Kulm zahlen. 1774 wurde ein folgenschweres
Gesetz
erlassen: die Mennoniten durften weiteres Land nur mir der Genehmigung
des Königs erwerben. Friedrich selbst war in dieser Hinsicht aber
nicht
so streng: die Mennoniten konnten ihren Besitz weiter vermehren. Sein
Nachfolger Friedrich Wilhelm II. war aber nicht so flexibel und
tolerant. 1789 wurden die Bedingungen für den Erwerb von neuem
Land
durch Mennoniten von Nicht-Mennoniten weiter erschwert.
Da die Mennoniten sehr kinderreiche Familien haben, hatten sie sich
stark vermehrt und waren deshalb auf neues Land angewiesen. Zwar
konnten die Mennoniten nun ihre Religion frei ausüben und auch
neues
Land erwerben, wofür sie aber ihre Ablehnung gegenüber dem
Wehrdienst
aufgeben mussten. Als dann die Einladung nach Russland von der
russischen Zarin Katharina II. kam, wurde sie deshalb erst von den
armen Landlosen, später auch von den Wohlhabenden angenommen (die
genauen
Gründe werden in einem eigenen Artikel behandelt). Bis in die
1860-er
fand
dann ein stetiger Zuzug nach Russland statt. Die weitere Entwicklung in
Westpreussen ist im Rahmen unseres Projekts nicht so relevant. Die
Verbliebenen passten
sich den Veränderungen an, nach der Einführung der
Wehrpflicht im
Deutschen Reich durften sie einen Ersatzdienst leisten. Nach dem 2.
Weltkrieg sind alle Mennoniten aus Westpreussen geflohen, somit
existieren heute dort keine mennonitischen Gemeinden mehr.
Hauptquelle:
"The Story of The Mennonites" von C.Henry Smith