Der vorliegende Text ist von Andreas Sawadsky im Rahmen seiner Facharbeit am Ratsgymnasium in Minden verfasst worden. Die Arbeit wurde mit sehr gut (14 Punkte) bewertet. Sie wurde uns nun zur Veröffentlichung im Internet zur Verfügung gestellt. Die komplette Facharbeit kann man als PDF-Datei runterladen. Der Autor beschäftigt sich darin hauptsächlich mit den Gründen der Auswanderung der Mennoniten nach Russland und den Anfängen der Ansiedlung in Chortitza und Molotschna.
Die Ostsiedlung der preußischen Mennoniten
im 18. und 19. Jahrhundert
1. Einleitung
Thema der Facharbeit: Die Ostsiedlung der preußischen Mennoniten im 18. und 19. Jahrhundert.
Ich hatte mich für dieses Thema entschieden, weil es ganz persönlich mit mir und der Vergangenheit meiner Vorfahren zu tun hat. Ich bin nämlich in Kasachstan geboren und doch ein Deutscher. Da stellt man sich doch die Frage: Wie kommt das? Wieso komme ich dann aus Kasachstan? Die Sache ist ganz einfach. Meine Vorfahren, die Mennoniten waren, lebten im 18. Jahrhundert im damaligen Preußen. Doch dann sind sie ausgewandert und haben in Russland (heutige Ukraine) einige Kolonien gegründet, unter anderem die Kolonie Molotschnaja, wo dann auch meine Großeltern im Dorf Friedensdorf bis zum zweiten Weltkrieg lebten. Durch denn Krieg veranlasst kamen sie dann nach Kasachstan, wo ich geboren bin. Folglich kann man sehen, dass ich ein Nachkomme der Mennoniten bin, darum ist mir das Thema, durch das ich mehr über meine Ahnen und ihr Leben erfahre, auch so bedeutend. In diesem Zusammenhang habe ich das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte besucht, wo mir dann Frau Dr. Neufeld 1 Literatur zeigte, in denen ich etwas zu meinem Thema finden könnte. Bei der Ausarbeitung der Facharbeit habe ich mich nur auf die ersten beiden großen Auswanderungen (1788/89; 1803/04) konzentriert und den Schwerpunkt auf die Gründe der Ostsiedlung der Mennoniten gelegt. Infolgedessen wurden die anderen Punkte weniger detailliert ausgeführt.
2. Geschichte der Mennoniten bis zur 1. Auswanderung
Zur Zeit der Reformation (16. Jahrhundert) bildete sich in der Schweiz eine kleine Gruppe, die der Meinung war, dass die Kindertaufe, welche von der Römisch- Katholischen Kirche praktiziert wurde, nicht gemäß der Bibel sei, sondern nur die Erwachsenentaufe. So ließen sich diese wenigen Personen erneut auf ihren Glauben taufen. Deshalb wurden sie spöttisch Täufer, Wiedertäufer oder Anabaptisten genannt. Als sie dann in der Schweiz verfolgt wurden, flüchteten sie in andere Länder. Unter anderem erreichte ein gewisser Melchior Hoffmann 1530 die Niederlande und stiftete dort die Wiedertäuferbewegung. In den Niederlanden wohnte zur selben Zeit ein Mann namens Menno Simons (1496-1561). Er war ein Priester in der katholischen Kirche. Am Anfang seines Priesteramtes zeigte er kein Interesse für die Bibel, doch später fing er an darin zu lesen und zu studieren. Auch er war der Ansicht, dass die Kirche in einigen Hinsichten nicht nach der Heiligen Schrift handele, zum Beispiel in der Sache der Kindertaufe und des Abendmahls. Dafür fand er umso mehr Stützpunkte für die Erwachsenentaufe in der Bibel. Aus diesem Grund legte er sein Priesteramt nieder und trat 1536 der noch jungen Wiedertäuferbewegung bei. Nach kurzer Zeit war er der Leiter der Täufer, oder auch Taufgesinnte genannt, und es sammelte sich um ihn eine große Gemeinde, die von Tag zu Tag wuchs. Er lehrte auch in anderen taufgesinnten Versammlungen, vor allem in Köln (2 Jahre), und reiste nach Osten bis Wismar, um zu lehren. Er wurde sehr bekannt, sowohl unter den Täufern als auch unter den anders Gläubigen, die die Taufgesinnten dann auch, nach Menno Simons, Mennoniten nannten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts flohen viele Mennoniten, weil sie in den Niederlanden von der Kirche verfolgt wurden, nach Preußen, wo sie sich an der Weichsel ansiedelten und landwirtschaftliche Höfe, Schulen, Krankenhäuser und ganze Dörfer aufbauten. 2 Dort lebten sie rund 200 Jahre, bis dann die 1. Auswanderung 1788/1789 stattfand und kurz darauf die 2. Auswanderung 1803/1804 folgte. Später fanden noch einige Auswanderungen nach Russland und Nordamerika statt.
3. Gründe für die 1. Auswanderung nach Süd- Russland
3.1. Die sich verschlechternde Situation der Mennoniten in Danzig-Westpreußen.
Die Gründe für die 1. Auswanderung liegen hauptsächlich im wirtschaftlichen Bereich. Die Mennoniten betrieben im allgemeinen Landwirtschaft und Viehzucht. Ihre Felder waren bei der Ankunft in Preußen und Danzig am Fluss Weichsel noch Sümpfe und Moore, die sie im 17. Jahrhundert bei ihrer Ansiedlung in diesem Gebiet erst entwässern und mit Deichen und Dämmen vor Wasser schützten mussten, um dort etwas anbauen zu können. Die Felder wurden aber immer wieder aufgrund von Deichbrüchen überschwemmt und zerstört. Dadurch gab es fortwährend Missernten und die betroffenen Mennoniten mussten von ihren "Brüdern" immer wieder mit Geld oder anderen Mitteln unterstützt werden. Deshalb mussten sie durch diese Katastrophen oft Ernteerträge einbüßen, wo doch der ohnehin schon mittelmäßigen Boden, der in Preußen vorwiegend vorhanden war, trotz größter Anstrengung nur einen durchschnittlichen Ernteertrag zuließ. 3 Ein weiterer wirtschaftlicher Grund waren das Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Landnot. Nachdem in Deutschland eine lange Zeit, durch Kriege und Pestilenzen, das Bevölkerungswachstum zurück- gegangen war, fing es in der Mitte des 18. Jahrhunderts an drastisch zu wachsen. Dem zufolge brauchte man immer mehr Land, welches aber nicht vorhanden war, und somit kam es zu einem Mangel an landwirtschaftlichen Böden. 4 Auch bei den Mennoniten gab es ein starkes Bevölkerungswachstum. Sie zählten im Jahre 1783 allein in Westpreußen 10.490 Mitglieder, im Jahre 1787 hingegen 13.573. 5 Das ist ein Bevölkerungswachstum von 6,6 %. Folglich benötigten die überwiegend vom Ackerbau geprägten Mennoniten dringend mehr Land. Der Landerwerb wurde ihnen aber durch die Resolution des Königs Friedrich II. von 1773 stark eingeschränkt. Dieser Beschluss besagte nämlich, dass vor jedem Grundstückserwerb von Andersgläubigen die Kriegs- und Domänenkammer informiert werden sollte und diese oder der König die Zustimmung oder Ablehnung geben konnte. Da die Armee Preußens auf dem Kantonsystem beruhte, sollte durch diese Regelung verhindert werden, dass die Mennoniten viele Höfe eines Kantons von anderen aufkauften und deshalb die Rekruten dieses Regiments ausblieben, weil die Mennoniten aufgrund ihres Privilegiums, der Wehrfreiheit, sich nicht am Wehrdienst beteiligten. Die Resolution von 1773 verwehrte somit vielen mennonitischen Landwirtssöhnen eine eigene Existenz und einen eigenen Hof aufzubauen. Dieses wurde ohnehin schon durch den Landmangel erschwert.
Ein weiterer Grund für die verschlechterte Lage der Mennoniten in Danzig- Westpreußen liegt im politischen und religiösen Bereich. In der Resolution von 1773 gewährte König Friedrich der Große den Mennoniten in Preußen völlige Freiheit vom Wehrdienst, da sie wegen ihrer religiösen Einstellung nicht am Militärdienst teilnehmen wollten. Doch wurden ihre Lebensverhältnisse durch das Mandat vom 20 Juni 1774 verschlechtert, in dem die völlige Freiheit vom Wehrdienst eingeschränkt wurde und sie 5000 Taler jährlich an die Kadettenschule in Kulm zahlen mussten. Die Mennoniten in Danzig mussten 300 Taler Schutzgeld an den Danziger Senat zahlen. Somit mussten auch die Mennoniten in Danzig und Preußen die Armee unterstützen, wenn nicht körperlich, so doch finanziell.
3.2. Die positiven Eindrücke der Mennoniten von Russland
Ein wichtiger Grund für den positiven Eindruck war die Siedlungspolitik der russischen Zarin Katharina II. und ihr Manifest von 1763. Katharina II. regierte ein großes Land mit vielen unbewohnten Steppen und großen Landstrichen und durch ihre aggressive Außenpolitik erweiterte sie das Territorium, indem sie zwei Türkenkriege (1774/1792) gewann und somit das nördliche Küstengebiet des Schwarzen Meeres Russland zufiel, hinzu kam auch die Krim, durch die Absetzung des Tartarenkhans (1783). Diese unbewohnten Gebiete, die auch Gruppenansiedlungen zuließen, wollte sie durch ausländische Ansiedler erschließen und dadurch dem Land neue Einnahmen verschaffen. 6 Obendrein kam "der kameralistische Grundsatz, nach dem die Peuplierung, die Mehrung der Bevölkerung, Basis von Macht und Reichtum der Nation sei und deshalb mit allen erdenklichen Mitteln gefördert werden müsse [...]" 7. Aus diesen Gründen verordnete Katharina II 1763 ein Manifest, welches alle Ausländer einlud in Russland zu leben und das für die Mennoniten folgende positive und einladende Punkte beinhaltete:
- Ärmeren Einwanderern wird Reisegeld gegeben.
- Jeder Einwanderer darf seine Religion frei ausüben.
- Die Ausländer, die sich in unbekannten Gegenden niederlassen werden, werden von Abgaben und Steuern für 30 Jahre befreit.
- Es werden zinsfreie Darlehen verliehen, die erst nach zehn Jahren abbezahlt werden müssen.
- Niemand wird zum Militär- und Zivildienst verpflichtet.
- Jede Kolonie darf sich auf ihren Wunsch selbst verwalten.
Die erste Informationen über die Lage in Russland erhielten die Mennoniten aber nicht 1763, als des Manifests veröffentlicht wurde, sondern wahrscheinlich erst 1783 als die Hutterer 8 die Mennoniten besuchten. Die Hutterer siedelten sich nämlich schon 1770 in Süd-Russland an und konnten somit die Mennoniten eingehend über die positive Situation in dem Land informieren. 9 Der Anlass für die Auswanderung der Mennoniten war vermutlich das Erscheinen des Gesandten der Kaiserin Katharina II. von Russland, Georg von Trappe, der 1786 in Danzig erschien. Er berichtet den Mennoniten, dass sie persönlich von der Zarin Katharina II. eingeladen worden waren, um Russland zu besiedeln, zu kultivieren und den russischen Landwirten als Vorbilder zu dienen. Denn die Kaiserin Katharina II. hatte von ihrem Feldmarschall, Graf Peter Alexander Rumjanzow, und vermutlich auch von anderen Offizieren, die im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) im Raum Danzig-Westpreußen quartierten und somit die Mennoniten kennen lernten, über die guten Fähigkeiten der Mennoniten im landwirtschaftlichem Bereich gehört. Durch diese Einladung angeregt schickten die Mennoniten zwei Deputierte, Jakob Höppner und Johann Bartsch, nach Süd- Russland, um das Land zu begutachten. Sie reisten im Winter 1786/87 zum russischen Fürsten Potemkin, der gerade die Reise der Kaiserin nach Neu-Russland plante. Als die Kaiserin Katharina II. dann im Hauptquartier Potemkins eintraf, lud sie die beiden Delegierten aus Danzig ein, sie auf dieser Reise in den Süden, zur Krim, zu begleiten. Jakob Höppner und Johann Bartsch fuhren mit und auf dieser Fahrt stellten sie eine Bittschrift mit einem 20-Punkte-Programm auf, anhand dessen sie eine Reihe von Bedingungen beantragten, die dann auch im Hauptsächlichen genehmigt wurden. Den Mennoniten wurde eine Siedlung bei Berislaw am Fluss Dnjepr versprochen. Diese Gegend hatte guten Boden (Tschernosjom= Schwarzerde), ideale Bedingungen für Viehzucht und Getreide- anbau und gute Möglichkeiten für Handwerk und Industrie. Außerdem gab es, durch die umliegenden Städte, gute Absatzmöglichkeiten für die Waren. Als dann die zwei Kundschafter und Georg von Trappe in Danzig erschienen und vom schönen Gebiet, dass ihnen zugesagt worden war, in aller Genauigkeit berichteten, herrschte geradezu eine Euphorie unter den Mennoniten. Diese Begeisterung erreichte ihren Höhepunkt, als Georg von Trappe ihnen eine Kopie von den Privilegien vorlegte, die der Vizekönig Potemkin unterzeichnet hatte. Dort wurden den Mennoniten verschiedene Arten von Beihilfen, Kredite usw. zugesagt. Ferner wurde jeder Familie 65 Desjatinen (zirka 4 Hufen) Land und 20 Desjatinen (zirka 1.23 Hufen) Weideland als persönlicher und vererblicher Besitz versprochen.
4. Die 1. Auswanderung 1788/ 1789
Nachdem die beiden Delegierten, Jakob Höppner und Johann Bartsch, zu den Mennoniten in Danzig zurückkehrten und diesen von den vielen Vorteilen Russland berichteten, wollten viele auswandern, doch die Behörde erschwerte gerade den Mennoniten die Auswanderung, die ein Haus oder Grundstück besaßen, indem sie Einschränkungen für diese aufstellten. So wanderten vorwiegend kleine Leute, wie Zimmermänner, Milchträger, Leinweber, Tagelöhner, Knechte und andere aus. Dazu kamen noch die Landwirtssöhne, die weder einen Hof erben noch, aufgrund der vorher beschriebenen Landnot, einen erwerben konnten. So wanderten am 23. Februar 1788 die ersten vier Familien aus Danzig aus. Im Laufe des Jahres kamen noch 18 Familien nach Süd-Russland. Als man auf einer mennonitischen Konferenz am 23. September 1788 eine erste Auswanderungsbilanz zog, kam man auf eine Summe von 152 ausgewanderten Familien. Zum Ende des Jahres stieg die Auswanderungsanzahl auf 228 Familien mit annähernd 1000 Personen. 10 Dem Versprechen der Kaiserin Katharina II. zufolge müsste diese ausgewanderte Gruppe einen Landbesitz von etwa 912 Hufen, ohne das zugesicherte Weideland von zirka 1.23 Hufen pro Familie, bekommen. Im Vergleich dazu hatten zum Beispiel in Danzig-Westpreußen die mennonitischen Gemeinden Rosenort mit 1836 Mitglieder nur 129 Hufen, Tiegenhagen mit 2526 Mitgliedern 453 Hufen und Fürstenwerder mit 501 Mitgliedern 112 Hufen. 11 An diesen Beispielen kann man sehen, wie groß und wie verlockend das Angebot der Zarin Katharina II. für die Mennoniten war. Als die ersten Ansiedler in Krementschug mit dem Fürsten Potemkin zusammentrafen, sagte er ihnen, dass sie sich nicht in dem versprochenen Land ansiedeln können aufgrund der noch herrschenden Kriege mit den Türken in diesem Gebiet. So siedelte er die Mennoniten, die mit großer Hoffnung und Erwartung erfüllt nach Russland gekommen waren, in der Nähe der Insel Chortitza am Fluss Dnjepr an. Das Gebiet ähnelte mit seinen bewaldeten Tälern einer Wildnis, die Ebene war von Rinnsalen zerfurcht und der Boden recht sandig. So wurde die Gründung der ersten mennonitischen Kolonie von Enttäuschungen und vielen Schwierigkeiten geprägt.
5. Gründe für die 2. Auswanderung nach Süd-Russland
5.1. Die Einschränkungen der mennonitischen Freiräume durch die Politik Preußens
Nachdem Kaiser Friedrich der Große am 17. August 1786 gestorben war, kam sein Neffe Friedrich Wilhelm II. an die Macht. Auf Grund der herannahenden Französischen Revolution und der somit verbundenen Bedrohung für den Kaiser, meinte er, die militärischen Interessen mehr hervorheben zu müssen, indem er zum Beispiel die Mennoniten zum Vorteil der anders Gläubigen (Protestanten), die sich am Wehrdienst beteiligten, belastete. Dies Belastung kommt im 1789 erlassenen Edikt "Die zukünftige Einrichtung des Mennonitenwesens betreffend" zum Vorschein. Sie kommt insbesondere in den Paragraphen 2 und 3 zur Geltung:
"So sollen alle in unseren Landen mit Grünstücken angesessene, oder sich in Zukunft ansässig machende Mennoniten [...] zur Unterhaltung der protestan- tischen Kirchen, Prediger und Pfarrgebäude, ingleichen der Schulen und Schulgebäude, nach dem Verhältnis ihrer Grundstücke, eben dasjenige beitragen, was ein protestantisches Mitglied von seinen Besitzungen zu leisten verbunden ist." (§ 2)
"Ebenso sollen alle und jede in Ost- und Westpreußen [...] wohnhafte Mennoniten, sie mögen angesessen sein oder nicht, in allen Fällen, wo ein protestantischer Einwohner bei Geburten, Verheiratungen oder Sterbefällen, Stolgebüren (Pfarramtsnebenbezüge) zu entrichten hat, eben diese Gebühren nach Verhältnis des Standes und Gewerbes nach den in vorgeschriebenen Taxordnungen [...] zu entrichten schuldig sein. [...] "(§ 3). 12
Demzufolge sollten die Mennoniten Abgaben und Steuern an protestantische Kirchen und Schulen leisten, obwohl sie diese gar nicht in Anspruch nahmen und nicht deren Mitglieder waren. Also profitierte die protestantische Kirche davon, mit der die Mennoniten eigentlich nichts zu tun hatten. Aus der Sicht der Mennoniten war diese Gesetzesgebung des Kaisers Friedrich Wilhelm II. empörend und für sie nicht nachvollziehbar, denn sie wurden dadurch ohne weiteres gezwungen, sinnlos Geld ohne jegliche Gegenleistung auszugeben. Nebenbei mußten sie noch ihre eigenen Gemeinden unterstützen. Zudem mußten sie auch noch 5600 Taler für die Befreiung vom Wehrdienst an Preußen zahlen.
Die kritische Haltung des preußischen Herrscher gegenüber den Mennoniten verschärfte sich noch, nachdem Frankreich dem preußischen und österreichischen Reich im Jahr 1792 den Krieg erklärte. Noch im selben Jahr erließ Kaiser Friedrich Wilhelm II. deshalb eine Deklaration des Edikts von 1789 gegen die Mennoniten. Diese Deklaration versagte besonders den mennonitischen Landwirtssöhne jegliche Aussicht einen eigenen Hof zu betreiben. 13 Waren ihre Möglichkeiten Land zu erwerben nach der Resolution von 1773 des Kaisers Königs Friedrich II. stark beschränkt, so wurde ihnen jetzt, durch die Deklaration von 1792, alle Hoffnung genommen.
Hinzu kommt noch, dass jeder zweite Besitzer eines Hofes, nachdem der Hof schon einmal vererbt worden war, von der Wehrfreiheit nicht mehr befreit war. Somit wurden die ländlichen Besitztümer der Mennoniten, auf längere Zeit gesehen, stark reduziert, da sie aufgrund ihres Glaubens nicht am Militärdienst teilnehmen würden. 14 Dadurch waren die Mennoniten gezwungen ihre Ländereien an anders Gläubige zu verkaufen, wovon Kaiser Friedrich Wilhelm II. profitierte, da er demzufolge mehr Soldaten, die er für den anstehenden Krieg gegen Frankreich benötigte, in sein Regiment bekam.
5.2. Die positive Einstellung Russlands gegenüber den Mennoniten
Die positive Einstellung Russlands gegenüber den Mennoniten wird insbesondere im Gnadenbrief vom russischen Kaiser Paul I. sichtbar. Im Gnadenbrief werden ihnen viele Privilegien, wie Religionsfreiheit, 65 Desjatinen Land pro Familie, Gewerbefreiheit, Freiheit von Kriegs- und Zivildienst und 15 Freijahre von Steuern gewährt ähnlich der Bitschrift, die von den beiden Delegierten, Jakob Höppner und Johann Bartsch 1787 der Zarin Katharina II. vorgelegt worden war und von dieser bewilligt worden war. Der Gnadenbrief wird vom russischen Herrscher ausgestellt, weil die in Russland lebenden Mennoniten um ein schriftlich festgehaltenes Privilegium baten und weil man damit neue Ausländer, besonders Mennoniten, nach Russland locken wollte, die als Vorbilder für die einheimischen Landwirte fungieren sollten. 15 Dieser Gnadenbrief kam den Mennoniten in Preußen sehr gelegen, besonders die Privilegien der Wehrfreiheit und die Aussicht auf Land, die sie in Preußen nicht hatten, erweckte in ihnen ein Verlangen nach Russland umzuziehen.
6. Die 2. Auswanderung 1803/1804
Es fanden auch schon vor 1803/1804 einige Auswanderungen nach Süd- Russland, in die bereits gegründete mennonitische Kolonie Chortitza, aufgrund der genannten Gründe statt. Aber die große Auswanderung ereignete sich erst 1803/1804, angeregt durch die einerseits entgegenkommende Haltung von russischer Seite und die andererseits ablehnende Haltung der preußischen Regierung gegenüber den Mennoniten. In diesen Jahren wanderten über 2000 Mennoniten nach Süd-Russland aus. Doch diesmal waren, ganz im Gegensatz zur ersten großen Auswanderung (1788/1789), auch massenhaft reiche und wohlhabende Landwirte mit Vieh, landwirtschaftlichen Werkzeugen und viel barem Geld ausgewandert. Als sie dann bei ihren "Brüdern" in Chortitza ankamen, wohnten sie bei denselben und zahlten ihnen sogar Miete für die Unterkunft. In der ersten Zeit, während sie ihre eigene Kolonie an Fluss Molotschnaja aufbauten, lernten sie viel von den ersten Einwohnern und konnten deshalb vielen Problemen aus dem Wege gehen, die die ersten Einwohner erst durch Erfahrungen kennen lernen mussten. Somit war der Start der Mennoniten in der Kolonie Molotschnaja um einiges leichter und weniger verlustreich.
7. Fazit
Wie bei den meisten Gruppen- und Völkerwanderungen, so gab es auch bei der Ostsiedlung der preußischen Mennoniten nicht nur einen einzigen Grund für die Auswanderung, sondern immer mehrere Gründe, die den Anlass dazu gaben. Bei den beiden zuvor beschriebenen Auswanderungen spielten im Wesentlichen zwei Faktoren eine große Rolle. Zum einen war es die stetig wachsende Unterdrückung der Mennoniten in Preußen und zum anderen die relativ offene Monarchie gegenüber den Mennoniten im Osten. In Preußen wurden sie immer mehr eingeengt. Waren es zu Anfang zwar hauptsächlich wirtschaftliche Anlässe, die sie zum Auswandern bewegten, so wurden sie kurze Zeit später von politischer Seite, durch ihre religiösen Einstellungen, stark ihrer Freiheit beraubt. Doch zu ihrem Glück kam der Ruf aus dem Osten, der sie einlud sich in Russland anzusiedeln und ihnen viele Privilegien versprach. Diese Privilegien waren für die Mennoniten besonders anziehend, weil sie genau da, wo die Mennoniten in Preußen eingegrenzt wurden, großen Freiraum boten. Insbesondere die Religions- freiheit und Wehrdienstfreiheit wurde ihnen für "ewige Zeiten" versprochen.
Doch wussten die Mennoniten damals noch nicht, dass ihnen diese Privilegien schon 1870 nicht mehr gewährt und sie zum Wehrdienst verpflichtet werden würden. Hinzu kam dann noch die Liquidierung des Landes, nach der Revolution im November 1917, durch die Bolschewiken. So wurde das Land der Mennoniten und ihre wirtschaftlichen Leistungen nicht mehr ihr Eigentum, sondern Allgemeineigentum.
8. Literatur- und Quellennachweis
- Bartlett, Rodger P.: Die Einwanderung von Ausländern und die staatlichen Urbanisierungspläne in Rußland im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Fleischhauer, Ingeborg; Jedig, Hugo H. (Hrsg.), Die Deutschen in der UdSSR in Geschichte und Gegenwart, 1. Auflage, Baden- Baden, 1990, S. 45- 51.
- Bildungsverein für Volkskunde in Deutschland DIE LINDE e. V. (Hrsg.): Gründe für die Auswanderung (Teil 1), http://www.russlanddeutschegeschichte.de/deutsch1/auswanderungsgruende.htm., 17.02.2005.
- Epp, George K.: Geschichte der Mennoniten (Band I), Lage, 1997, S. 23- 25, 33- 35, 81- 85, 123, 129- 131.
- Fleischhauer, Ingeborg: Die Deutschen im Zarenreich, Stuttgart, 1986, S. 112-115, 127, 158, 163- 164, 228.
- Friesen, Peter M.: Geschichte der Alt-Evangelischen Mennoniten Brüderschaft in Russland, Halbstadt, Taurien, 1911: Verein zur Erforschung und Pflege des Kulturerbes des rußlanddeutschen Mennonitentums e. V. (Hrsg.), Reprint, Göttingen, 1991, S. 1- 72.
- Gerlach, Horst: Auswanderung aus Preußen und Ansiedlung der Mennoniten in Russland, in: Verein zur Erforschung und Pflege des Kulturerbes des rußlanddeutschen Mennonitentums e. V. (Hrsg.): 200 Jahre Mennoniten in Rußland, Bolanden- Weierhof, 2000, S. 11-23.
- Gerlach, Horst: Die Russlandmennoniten, Kirchheimbolanden (Pfalz), 1992, S. 13- 25.
- Klassen, Abram J. (Hrsg.): Neu Samara am Tock (1890- 2003), Warendorf, 2003, S. 27- 35,64.
- Kulturrat der Deutschen aus Rußland e. V. (Hrsg.), Volk auf dem Weg. Deutsche in Rußland und in der GUS 1763-1993, 4. Auflage, Stuttgart, 1993, S. 2- 4.
- Multimedia Lexikon 2002, Tandem Verlag.
- Penner, Horst: Die ost- und westpreußischen Mennoniten (Band II), Kirchheimbolanden, 1987, S. 3-36.
- Wiebe, Herbert: Das Siedlungswerk niederländischer Mennoniten im Weichstal zwischen Fordon und Weissenberg bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Johann Gottfried Herder- Institut Marburg/ L. (Hrsg.): Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost- Mitteleuropas, Nr. 3, 1953.
Minden, den 28.02.2005
Fußnoten
- Mitglied des Museumsvereins für russlanddeutsche Kultur und Volkskunde, der die Trägerfunktion des Museums hat, und ehrenamtliche Mitarbeiterin im Museum.
- Vgl. Klassen, Abram J. (Hrsg.): Neu Samara am Tock (1890- 2003), Warendorf, 2003, S. 27- 31.
- Vgl. Gerlach, Horst: Auswanderung aus Preußen und Ansiedlung der Mennoniten in Russland, in: Verein zur Erforschung und Pflege des Kulturerbes des rußlanddeutschen Mennonitentums e. V. (Hrsg.): 200 Jahre Mennoniten in Rußland, Bolanden-Weierhof, 2000, S. 13.
- Vgl. Bildungsverein für Volkskunde in Deutschland DIE LINDE e. V. (Hrsg.): Gründe für die Auswanderung (Teil 1), http://www.russlanddeutschegeschichte.de/deutsch1/auswanderungsgruende.htm., 17.02.2005, Bevölkerungswachstum (Teil 1.1.1.).
- Vgl. Penner, Horst: Die ost- und westpreußischen Mennoniten (Band II), Kirchheimbolanden, 1987, S. 31.
- Vgl. Kulturrat der Deutschen aus Rußland e. V. (Hrsg.), Volk auf dem Weg Deutsche in Rußland und in der GUS 1763- 1993, 4. Auflage, Stuttgart, 1993, S. 2- 4.
- Bartlett, Rodger P.: Die Einwanderung von Ausländern und die staatlichen Urbanisierungspläne in Rußland im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Fleischhauer, Ingeborg; Jedig, Hugo H. (Hrsg.), Die Deutschen in der UdSSR in Geschichte und Gegenwart, 1. Auflage, Baden- Baden, 1990,S.48.
- Die Hutterer entstanden 1528 als täuferische Sonderform in Nikolsburg. Sie waren den Mennoniten in der Lehre sehr ähnlich, nur in der Frage des persönlichen Eigentums übten sie eine Gütergemeinschaft aus. Die Hutterer und die Mennoniten kannten sich schon von früheren Begegnungen.
- Vgl. Gerlach, Horst: Auswanderung aus Preußen und Ansiedlung der Mennoniten in Russland, in: Verein zur Erforschung und Pflege des Kulturerbes des rußlanddeutschen Mennonitentums e. V. (Hrsg.): 200 Jahre Mennoniten in Rußland, Bolanden-Weierhof, 2000, S. 11.
- Vgl. Gerlach, Horst: Die Russlandmennoniten, Kirchheimbolanden (Pfalz), 1992, S. 19.
- Vgl. Penner, Horst: Die ost- und westpreußischen Mennoniten (Band II), Kirchheimbolanden, 1987, S. 3.
- Kaiser Friedrich Wilhelm II.: Edikt " Die zukünftige Einrichtung des Mennonitenwesens betreffend", 2,3 Paragraph, 1789, zitiert nach: Penner, Horst: Die ost- und westpreußischen Mennoniten (Band II), Kirchheimbolanden, 1987, S. 24f.
- Vgl. Penner, Horst: Die ost- und westpreußischen Mennoniten (Band II), Kirchheimbolanden, 1987, S. 25f.
- Vgl. ebd., S. 25.
- Vgl. Fleischhauer, Ingeborg: Die Deutschen im Zarenreich, Stuttgart, 1986, S. 127.