Diese Texte wurden uns von
Dolores Reimer aus Kanada zur Verfügung gestellt. Der erste wurde
1993 von Reinhard Len Hiebert aufgeschrieben und berichtet von der
Reise ihrer Großeltern nach Kanada. Der andere ist aus den
Memoiren von Gerhard Peter Reimer "93 years of God's Guidance"
entnommen. Gerhard Reimer war der Bruder von Dolores Reimer's
Großvater Johann P. Reimer. Kursive Stellen sind von Dietrich
Tissen.
Unsere Eltern trafen die Entscheidung Russland zu verlassen und nach
Kanada auszuwandern. So, wurden im Oktober 1924 unsere Familie, und die
Familie von Johann Reimer mit ihren Habseligkeiten auf einen von
Pferden gezogene Wagen aufgeladen und wir verließen unser Dorf
Podolsk. Wir fuhren zum Bahnhof in Sorotschinsk und wurden dort
auf ein Güterwagon aufgeladen. Es gab ein oberes und ein unteres
Deck. Wir besetzten an einem Wagonende von jedem die Hälfte.
(Insgesamt reisten vier Familien in einem Wagon). Helene Hiebert war 6
Wochen alt und Maria Reimer war in etwa demselben Alter.
Nachdem wir Sorotschinsk am Abend verließen, hielt der Zug am
nächsten Morgen in Kujbyschew an (ein Anachronismus da die Stadt
bis 1935 Samara hieß und auch heute wieder so heißt).
Vater und Onkel Johann gingen in die Stadt um Kalatschi
(ringförmiges Brot, im englischen Original doughnuts, es
müssen aber Kalatschi gemeint sein) für unser Mahl zu kaufen.
(Sie wurden zu 10 Stück auf einer Schnur verkauft). Sie konnten
keine finden
und kehrten deshalb zurück mit einem großem Laib von
russischem Brot. Onkel Johann war sehr aufgeregt über diese Reise.
Ich war es auch. Die Nacht, als wir den Fluss Wolga überquerten
sagte er, "Alle die den Fluss Wolga sehen wollen kommt zur Tür".
So ging ich zur Tür. Während er sie aufhielt sah ich mir die
Spiegelungen des hellen Mondlichts auf dem Wasser an. Es war wirklich
aufregend. Dieser Zug nahm uns mit bis Moskau, wo wir für eine
Nacht Halt machten, dann setzten wir die Reise bis Riga, Lettland fort.
Die Reise mit dem Zug dauerte etwa 4 Tage.
Wir waren in Riga für 2 oder 3 Tage. Wir blieben dort in einer
Kaserne. Wir mussten durch eine Sauna gehen, während unsere
Kleider gegen Läuse desinfiziert wurden. ( So weit ich weiß
hatte keiner von uns Läuse). Endlich kamen wir an Board eines
Schiffes, die "Melita", Deutschland, das Schiff brachte uns über
die Ostsee, durch den Kiel Kanal in Norddeutschland, und über die
Nordsee nach London, England. Kiel war ein besonders schöner
Hafen, weil die Landschaft so grün war. Das Schiff hielt dort an,
um Kohle aufzuladen, sie wurde durch den Rauchschlot herunter
gerieselt. Während das Schiff angedockt war kamen Händler an
Board, um Äpfel zu verkaufen. Wir konnten uns keine kaufen, da wir
kein Geld hatten. Als wir den Hafen verließen, passierten wir
unterhalb einer Eisenbahnbrücke, gerade als ein Zug diese
überkehrte. Es war eine hohe Brücke aber wir hatten Angst,
dass der Schiffsmast sie treffen würde. Er blieb aber klar
drunter. Als wir in die Nordsee einliefen sahen wir eine ganze Flotte
von Fischereibooten. Es hat einen Tag gedauert den Kanal zu durchkehren.
London war eine ganz andere Welt. Wie aufregend war es die Neonreklamen
auf und ab flackern zu sehen, die Straßenbeleuchtung und die
Autos. Wir kamen am Abend an and wurden vom Schiff mit Taxen abgeholt.
Wir wurden zu einem Bahnhof mitgenommen, wo ein Zug wartete,
um uns nach Southampton zu bringen, wo wir ein paar Tage blieben. Wir
kamen wieder an Board eines Schiffes, die "Empress of Scottland". Es
war ein großes, schönes Schiff, das uns in sieben Tagen
über den Atlantik nach Quebec brachte, wo wir einen Zug nach
Rosthern, Saskatchewan nahmen. Während der Überquerung wurde
fast jeder seekrank. (Glücklicherweise ich nicht). Es war ein
großes Abenteuer auf dem Schiff zu wandern und unter das Deck zu
gehen, um sich die Motoren an zu schauen, welche die Kohle verbrannten.
Wir kamen am 18. November 1924 an.
Die Mennonitische Kommission für Einwanderung (Mennonite Board of
Emigration) suchte nach Plätzen, um die ankommenden Emigranten,
vorübergehend in mennonitischen Häusern unterzubringen.
Später fand sie Farmen, um die Leute dort anzusiedeln. Wir kamen
auf eine Farm in Elstow. Die Reimers kamen auf eine Farm in Colonsay.
Hier blieben wir und bewirtschafteten die Farm ein paar Jahre. 1925
emigrierten unsere Großmutter, Helena Janzen und ihr
jüngster Sohn Kornelius mit seiner Familie nach Kanada und
siedelten im Colonsay Gebiet an. Das Leben war schwer und hart in
diesen ersten paar Jahren in Kanada. Die Reimers und die Familie von
Kornelius Janzen verließen Colonsay um 1930 und gingen nach Osage
im südlichen Saskatchewan, um dort Farmen zu betreiben. Es war
hier, als Onkel Kornelius' Frau Tina starb. Der 6 Monate alte Sohn
starb ebenfalls. Onkel Kornelius sagte, dass sich die Heilsarmee um die
Beerdigung sorgte. Zu dieser Zeit setzte die landesweite Depression
ein. Die Zeiten waren schwer. So nahmen die Reimers und die Janzens die
Homestead Farmen im Speedwell Distrikt nördlich von Fairholme.
Ich wünsche nun ein paar Worte über den Nachbar unseres
Großvaters zu sagen, dessen Name Jakob Wieler war. Er kaufte sich
sein Land vom Großvater, wie es mir Maria (Wieler) Quapp
erzählte, und sie bauten ein schönes Haus darauf. Herr Wieler
war ein Prediger. Er traute unsere Mutter und Vater, aber auch Johann
Reimer und seine Frau. In den frühen 20-ern, haben die
kommunistischen Behörden nach ihm gesucht. Sie wollten ihn
verhaften, er musste sich deshalb verstecken. Er kam zu meinem Onkel
Johann Hiebert und sagte, "Du bist der einzige Mann der mir helfen
kann." Mein Onkel war damit einverstanden ihm zu helfen. Er sagte, "Wir
müssen deinen Bart abrasieren. Dann werden wir den Boden des
Wagens mit Stroh bestreuen, Dich darin einbetten, und mit einer Decke
bedecken. Wenn jemand wissen will was Du da tust, werde ich ihnen
erzählen, dass Du krank bist." So fuhr er ihn bis zum Bahnhof in
Sorotschinsk, setzte ihn dort in den Zug, so dass er fliehen konnte.
Herr Wieler ist mit seiner Familie nach Kanada gekommen und sie lebten
in Coaldale.
Russland kam in eine Zeit großer Unruhe und Bürgerkrieg.
Viele Mennoniten sahen die Zeichen und versuchten auszuwandern. Mein
Bruder Johann war schon nach Kanada gegangen. Gleich nach meinem
Zusammenstoß mit der Polizei fuhr ich nach Moskau um eine
Erlaubnis zu bekommen meinen Bruder in Kanada besuchen zu können.
Es hat fünf Monate gedauert bis wir die Erlaubnis zum verlassen
bekamen. Das war 1926. Erst fuhren wir nach Moskau und dann nach
Riga. Als wir das Rote Tor passierten, zitterte ich am ganzen
Körper. Unser Gott, der alles in seiner Hand hält, hat
uns geführt. Wir schafften es nach Kanada! Es war nur seine Gnade
von der wir geleitet wurden, das wußten wir mit Sicherheit.
Wieviele von unseren Freunden und Verwandten mussten zurück
bleiben. Wir sahen unsere Eltern nie wieder. Meine Mutter starb im
Alter von 72 Jahren. Meine Frau und ich danken fortwährend Gott,
dass er uns aus diesem Land des Terrors brachte.
Im November 1926 landeten wir in Kanada und kamen nach Colonsay,
Saskatchewan. Mein Bruder Johann und seine Familie lebten dort. Sein
Schwager Janz, Bruder seiner Frau Maria, kam auch um diese Zeit an. Er
nahm zwei Immigrantenfamilien bei sich auf. Es gab viel Schnee und es
war sehr kalt. Wenn wir in Kanada ankamen hatte ich 50 Cent in meiner
Tasche. Dann kam ein Farmer auf
Pferdeschlitten quer über die Prärie und brachte uns
"Russländern" einen 100-Pfund-Sack
Mehl. Bald kam ein anderer mit einem großen geräuchertem
Schinken. Können Sie sich vorstellen wie uns das aufmunterte?
Mein Bruder Peter und seine Frau kamen auch nach Kanada. Genau zwei
Monate später hat das Mennonitische Kommitee für Immigration
eine Farm für unsere drei Familien gefunden, in Osage,
Saskatchewan. Mr. Mitchell, der Besitzer, hatte zwei Farmen. Vier
Landteile mit einer Größe von 400 acre (1 acre = 40.47 ha), und ein
Stück
mit 540 acre. Die 400 acre waren noch gar nicht bearbeitet worden und
lagen etwa zwei Meilen weg. Der Besitzer wollte ein Haus für uns
bauen. Er stellte das Baumaterial und Arbeiter zur Verfügung.
Dieses erste Jahr lebten alle drei Familien zusammen in einem Haus. Was
immer zwei von ihnen entschieden zu tun, die dritte musste sich dem
beugen. Am Ende des Jahres zog Janz zu einem anderen Ort. Meine Frau
und ich zogen auf die 400 acre, die etwa acht Meilen von der Stadt
Osage liegen. Die Bedingungen des Kaufs von dieser Farm waren ziemlich
hart. Wir mussten die Hälfte der Ernte als Zahlung abgeben.
Insbesondere wenn die Ernte gut war und wir eine Menge Getreide
verkauften, mussten wir mehr als die Hälfte abgeben. Wir mussten
uns bei unseren Ausgaben stark einschränken. Insgesamt lebten wir
auf der Farm sieben Jahre.
Wir konnten kaum etwas für unsere Hypothek bezahlen, da die
Hälfte unseres Einkommens an den Besitzer ging. Wir fingen an eine
andere Farm zu suchen und Gott führte uns zu einer Homestead Farm.
Sie befand sich in Nordsaskatchewan an einem Ort namens Fairholme. Hier
bauten die Leute eine Mennoniten-Brüder-Kirche aus
Baumstämmen. Wir waren glücklich über diese Art von
Gemeinschaft. Wir mieteten ein dünnwändiges Blockhaus und
erlebten einen strengen Winter. aber wir hatten einen guten Holzofen,
den wir das ganze Winter hindurch mit Holz befüllen mussten. Aber
die Kameradschaft in der Kirche war sehr warmherzig und wir danken Gott
bis zum heutigen Tag für unsere lieben Freunde. In Osage mieteten
wir einen Eisenbahnwaggon. An einem Ende stellten wir unsere Kuh und
vier Pfrede, an dem anderen Ende packten wir unsere Möbel und
Gerätschaften. Alles erreichte wohlbehalten das Ziel und wir waren
bereit für einen neuen Anfang. Wir haben diese Homestead-Farm
für 200 Dollar pro Jahr gepachtet. Sie bestand aus 100 acre. Wir
nutzten 90 von diesen für das Heu und säten Weizen auf den
anderen 10.
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Irgenwann musste der Frühling kommen. Wir lasen in der Rundschau,
dass die M.B. Gemeinde in Coaldale beschloß dass kein Mitglied
von der staatlichen Wohlfart leben sollte. Sie wollten stattdessen
einander helfen, so dass die Mennoniten keine schlechte Reputation bei
der Regierung hatten. Mein Bruder Johann, und seine Familie mit 11
Kindern, und unsere Familie mit 5 Töchtern beschlossen nach
Coaldale zu gehen. Johann sagte sie hätten kein Geld mit dem Zug
zu fahren, so fuhren wir auf den Pferden. Wir wollten nicht sie alleine
fahren zu lassen. Die Fahrt von Fairholme in Saskatchewan nach Coaldale
in
Alberta dauerte von Mitte Mai bis Mitte Juni, 1935.
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Die Gemeinschaft in der Gemeinde war sehr gut. Wir möchten
insbesondere unseren Anführer, lieben Bruder Benjamin Janz,
würdigen. Mennoniten aus allen Gebieten Russlands siedelten in
Coaldale.