Amerika
Als erste größere Siedlung der Deutschen in Nordamerika
wurde 1683 Germantown in Pennsylvania auch von den Mennoniten
mitgegründet. Sie stammten urprünglich aus der Schweiz und
hatten in der Pfalz zeitweilig Zuflucht gefunden. Im Laufe des 18.
Jahrhunderts kamen immer mehr Mennoniten schweizerischen Ursprungs nach
Amerika. Nach dem Unabhängigkeitskrieg zog ein Teil der
amerikanischen Mennoniten nach Ontario in Kanada. Die ersten
russlanddeutschen Mennoniten kamen in den Jahren nach 1874 nach
Amerika. Die Auswanderung aus Russland erfolgte hauptsächlich
wegen der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Russland.
Obwohl es schliesslich doch zu einem Kompromiss kam - die Mennoniten
konnten einen Ersatzdienst ableisten - sahen viele Mennoniten die
versprochenen Privilegien gebrochen. Etwa ein Drittel der damaligen
mennonitischen Bevölkerung Russlands wanderte aus. In Kanada wurde
den Mennoniten die Befreiung vom Wehrdienst versprochen, die schon
für die vorher bestehenden mennonitischen Gemeinden galt. In den
USA lag die Entscheidung darüber in den Händen der einzelnen
Staatenregierungen, die Bundesregierung konnte deshalb so ein
Versprechen nicht geben. Außerdem konnten die Mennoniten in
Kanada
wieder ihre gewohnten Blocksiedlungen bilden, was in den USA nicht
unbedingt der Fall war. Wegen des milderen Klimas und besserer
wirtschaftlichen Aussichten zog trotzdem der größere Teil
der
Auswanderer in die USA, hauptsächlich nach Kansas und Nebraska. In
Kanada reservierte die kanadische Regierung zwei Landreserven in
Manitoba: die West- und Ostreserve. Später zogen die Siedler auch
nach Sascatchewan.
Zur nächsten Einwanderungswelle aus Russland kam es in den
1920-ern, wobei diese für unser Projekt am interessantesten ist.
Während des 1. Weltkriegs kam es in Russland zu einer starken
Deutschenfeindlichkeit. Ein Folge davon war auch das Gesetz über
die Enteignung des russlanddeutsches Landbesitzes am 2. Februar 1915.
Dieses wurde nur sehr schleppend in die Tat umgesetzt. Gerettet wurden
die Deutschen durch die März-Revolution 1917 - die neue Regierung
hob das Gesetz auf. Im Oktober 1917 kam dann die bolschewistische
Regierung an die Macht. Als ein taktisches Manöver erlaubte sie
den Bauern den Privatbesitz in den Gemeindebesitz zu
überführen (innerhalb der tradionellen russischen Gemeinden
wurde das Land auf
jede Familie gerecht verteilt). Davon wurden auch die mennonitischen
Gutsbesitzer betroffen. Als der größte Landbesitzer
wäre davon auch Heinrich Reimer betroffen, er hat aber sein Land
vorher verkauft.
Nach ihrer Machtübernahme errichteten die Bolschewiki eine
Terrorherrschaft. Während einer kurzen Phase wurde der private
Handel verboten und die Bauern mussten das meiste Getreide bei der
Regierung abliefern. Nach einer Missernte 1921 kam es dadurch im ganzen
Land zu einer großen Hungersnot, die nur durch die Auslandshilfe
gemildert
werden konnte. Auch nach dem Übergang zu einer mehr
marktwirtschaftlichen Politik behielt die Regierung ihren harten Kurs
bei. Die Bauern konnten zwar nun wieder wirtschaften wie bisher, aber
für die Kaufleute und Grossgrundbesitzer war es aus, die meisten
sind wohl während oder kurz nach dem Bürgerkrieg 1918-1921
geflohen. Der stärkste Nachteil für die Mennoniten war aber
die Behinderung der Religion, so wurde die Religion in der Schule
verboten, die Prediger verfolgt und es wurde eine starke atheistische
Propaganda betrieben. Viele Lehrer wurden durch junge russische Lehrer
ersetzt und sahen deshalb in Russland keine Zukunft mehr.
Aus all diesen Gründen wollten viele Mennoniten auswandern. Allein
aus Neu Samara sind in den Jahren 1923-1926 ca. 700 Personen
ausgewandert. Insgesamt sind in diesen Jahren etwa 22.000 Mennoniten
nach Kanada gezogen. In den USA wurde zu dieser Zeit eine sehr
restriktive Einwanderungspolitik für die Einwanderer aus Osteuropa
betrieben. Deutschland hatte zu dieser Zeit große wirtschaftliche
Schwierigkeiten, zudem hatte es Interessen in der Sowjetunion und
wollte deshalb die dortige Regierung nicht verärgern. Als
Auswanderungsziel blieb
damit nur Kanada.
Ein weiteres Problem war die Finanzierung der Ausreise - viele Familien
konnten es sich nicht leisten. Deshalb wendete sich die Kanadische
Mennonitische Kommission für Kolonisation (Canadian Mennonite
Board of Colonisation) an Canadian Pacific Railway Company, eine
Eisenbahngesellschaft, die auch eigene Schiffe besaß, mit der
Bitte die mennonitischen Einwanderer auf Kredit von Russland nach
Kanada zu bringen. Die C.P.R. war damit einverstanden, einer der
Gründe muss wohl das Interesse an der weiteren Besiedlung der
westlichen Gebiete Kanadas gewesen sein, womit es neue Kunden gewann.
Die Mennoniten waren als tüchtige Landwirte und
vertrauenswürdige Geschäftskunden bekannt. Insgesamt brachte
die C.P.R. in den Jahren 1923-1930 über 21.000 Personen, die
meisten davon auf Kredit, nach Kanada.
Die Auswanderer mussten sich erst in Moskau die Pässe besorgen,
diese wurden mit der Zeit immer teurer, bis schließlich keine
mehr ausgestellt wurden. Der Weg für die Auswanderer aus Neu
Samara führte sie erst auf Pferdewagen nach Sorotschinsk, zum
Bahnhof. Von wo sie dann mit dem Zug über Moskau nach Riga in
Lettland reisten. Dort mussten Gesundheitskontrollen durchgeführt
werden, denn nur Gesunde durften nach Kanada einwandern. Von dort
fuhren sie mit einem Schiff nach England, wo sie dann mit einem
C.P.R.-Dampfer von South Hampton nach Quebec in Kanada gebracht wurden.
In
Kanada fuhren sie dann zu ihren neuen Wohnorten mit der Eisenbahn.
Die Kanadische
Mennonitische Kommission für Kolonisation bemühte sich
für die Einwanderer neue Siedlungsmöglichkeiten zu finden.
Die meisten mennonitischen Einwanderer wollten wie in ihrer alten
Heimat wieder Landwirtschaft betreiben. Dies wurde durch die bald
einsetzende Weltwirtschaftskrise erschwert. Anfang der 1920-er gab es
zwischen der kanadischen Regierung und den schon 1874 eingewanderten
Mennoniten einen Streit wegen den Schulen. Ein Teil wanderte deshalb
nach Südamerika aus, damit wurden für die neuen Einwanderer
einige Plätze frei. Die meisten aber, auch aus Neu Samara, wurden
über ganz Kanada verstreut. Nach den mir bekannten Informationen
aus dem Buch "Neu Samara am Tock" haben nur kleine Gruppen an einer
Stelle gesiedelt, so z.B. in Crowfoot und später in Lindbrook in
Alberta. Andere Orte waren Coaldale Alberta, Abbosford and Clearwater
British Columbia, Dalmeny Saskatchewan. Es gab nach 1947 immer wieder
Neu-Samara-Sängerfeste in
Yarrow, British Columbia, unter der Leitung von George Reimer, Sohn des
langjährigen Dirigenten Gerhard Reimer aus Lugowsk. 1936 gab es
einen großen Neu-Samara-Fest in Manitoba (über diese Feste
suchen wir nach mehr Informationen).
Ende der 1920-er kam die Auswanderung durch Verbote der sowjetischen
Regierung zum Stehen. Gleichzeitig begann die gewaltsame
Kollektivierung mit der Wegnahme von Vieh und Land. Viele sahen nun was
sie verpasst haben. Als es 1929 zu Gerüchten kam, dass einige
Familien die Auswanderungserlaubnis erhielten, sammelten sich in Moskau
mehrere Tausend Menschen an, unter ihnen viele Mennoniten, auch aus Neu
Samara. Schließlich wurde etwa 6.000 Mennoniten die Ausreise nach
Deutschland erlaubt. Für sie hat sich insbesondere Benjamin H.
Unruh eingesetzt, der zu dieser Zeit schon in Deutschland lebte. Durch
seine Bemühungen kam es zu reichlichen Spenden für diese
Flüchtlinge. Sie wurden in die Flüchtlingslager in Mölln
und Prenzlau gebracht. Deutschland nahm sie aber nur vorübergehend
auf. Die neue konservative kanadische Regierung verweigerte
zunächst die Einreise, schließlich durften 1.344 nach Kanada
auswandern. 306 konnten in Deutschland bleiben. Nach Brasilien kamen
2.533 und nach Paraguay 1.572. Von diesen sind dann wohl einige nach
dem 2. Weltkrieg in die USA und nach Kanada ausgewandert. Bei den nach
Südamerika ausgewanderten Personen sind auch viele aus Neu Samara
dabei gewesen.
Die anderen in Moskau gebliebenen Flüchtlinge sind von der Polizei
in Waggons zusammengetrieben worden und wurden nach Sibirien geschickt.
Ich habe von einer Familie aus Neu Samara gehört, die auch in so
einem Zug saß, als der Zug in Buguruslan anhielt, etwa 100 km
nordwestlich von Neu Samara, sind sie heimlich ausgestiegen und haben
noch nach Hause geschafft. Später wurde dies natürlich von
den Menschen verheimlicht, genauso wie die Tatsache, dass man Verwandte
im Ausland hatte - dies konnte während der Stalinschen Herrschaft
sehr gefährlich werden, man wurde gleich als ausländischer
Spion verdächtigt, wenn man Post aus dem Ausland bekam. Erst nach
Stalins Tod 1953 kam es langsam wieder zu einem Briefwechsel zwischen
den ausgewanderten Familien und den in Neu Samara gebliebenen.